Kunst, Künstler und Kunststätten im Kolonnadenviertel

Nach einem Vortrag von H.-G. Fischer

 

Alles begann damit, dass Andreas Dietrich Apel im Jahr 1700 von seinem Schwiegervater den Bieringschen Garten gegenüber der Pleißenburg erbte. Durch Zukauf erweiterte er ihn und baute neue Fabrikationsgebäude entlang des Pleißemühlgrabens. Dahinter ließ er bis etwa 1717 den größten und schönsten Barockgarten Leipzigs anlegen, der später als Apelscher Garten berühmt wurde und dessen Spuren bis heute in unserem Viertel lebendig sind. Auf einer Terrasse am Eingang des Gartens – etwa dort, wo heute die Otto-Schill-Straße den Pleißemühlgraben überquert – ließ er vier von Balthasar Permoser geschaffene Götterstatuen (Jupiter, Juno, Mars und Venus) aufstellen. Nur zwei davon (Jupiter und Juno) sind erhalten und stehen seit 1994 als Kopien auf dem Dorotheenplatz.

Johann Wolfgang Goethe um 1775
Johann Wolfgang Goethe um 1775

Im 18. Jahrhundert veränderte sich nicht viel, der Garten war öffentlich und diente dem Bürgertum Leipzigs und seinen Gästen als Ort der Erholung und Kommunikation. So auch Johann Wolfgang Goethe, der ihn während seines Leipziger Aufenthalts von 1765 bis 1768 offenbar häufig besuchte. Allein das "adelte" den Boden in unserem Viertel. Wer von uns denkt schon daran, wenn er schnell mal über die Sophienbrücke zu NORMA oder zum Mittagessen auf den Dorotheenplatz ins Restaurant Apels Garten läuft. Obwohl, in Letzterem wird die historische Dimension unseres Kolonnadenviertels noch am ehesten gespürt. Aber mit Permoser und Goethe endete die künstlerische Vergangenheit und Tradition unsers Viertels nicht, sondern sie begann damit erst richtig.

Felix Mendelssohn Bartholdy 1830
Felix Mendelssohn Bartholdy 1830

Robert Schumann, der hier von 1831 bis 1833 in Rudolphs (später Riedels) Garten wohnte und hier seine Karriere als Pianist praktisch selbst beendete, indem er seine Finger mit einer Mechanik überdehnte, verkehrte auch später oft in unserem Viertel in Lurgensteins Garten. Hier wohnte Felix Mendelssohn Bartholdy von 1837 bis 1843 mit seiner Familie, nachdem seine seit seiner Übersiedelung 1835 nach Leipzig in Reichels Vordergebäude befindliche Wohnung zu klein wurde. Von Lurgensteins Garten aus malte Mendelssohn auch wiederholt die Ansicht der Thomaskirche mit der Alten Thomasschule. Auch die als Pionier der Daguerreotypie geltende Fotografin Berta Wehnert-Beckmann wohnte und arbeitete 1844/45 in unserem Viertel in der Rudolphstraße ehe sie 1845 heiratete.

Arthur Nikisch
Arthur Nikisch

Arthur Nikisch, der die letzten Jahre seines Lebens in der Thomasiusstraße 28 (Märchenhaus) wohnte, setzte gemeinsam mit Barnet Licht bei der wenig geneigten Gewandhausdirektion durch, dass Leipziger Arbeiter 1915 für 60 Pfennig Eintritt ein Sinfoniekonzert im Gewandhaus erleben konnten. Auch Karl Straube, langjähriger Thomas- und Gewandhausorganist und ab 1918 bis 1939 Thomaskantor, wohnte zeitweilig im Kolonnadenviertel, nämlich auf halbem Weg zwischen Thomaskirche und Thomasschule und -alumnat am Dorotheenplatz 1. Dieses Wohnhaus wurde, wie so viele Wohnhäuser und Kulturstätten, in der Bombennacht am 4. Dezember 1943 vollständig zerstört. Karl Straube wurde 1939 auf Betreiben der nationalsozialistischen Machthaber aus dem Amt gedrängt. Unter Karl Straubes Leitung verschaffte sich der Thomanerchor Weltgeltung, indem er ab 1920 Konzertreisen ins Ausland durchführte.

Von den bildenden Künstlern, die im Kolonnadenviertel lebten und arbeiteten, sind vor allem Eduard David Einschlag und Max Schwimmer zu nennen. Einschlag wohnte ab 1912, wie Nikisch in den letzten Jahren, im Märchenhaus in der Thomasiusstraße 28. Er war einer der führenden Künstler in Leipzig. 1937 als entartet verfemt, gehörte er mit seiner Frau und seinen zwei Schwestern zu den 5.000 Leipziger Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die am 28. Oktober 1938 abgeschoben und in Treblinka ermordet wurden. Der 16 Jahre jüngere Schwimmer lebte und arbeitete ab 1950 in der Gottschedstraße 4. Aber 1951 geriet der unbequeme Künstler in eine von Moskau aus geschürte, im Kolleg heftig geführte Formalismus-Debatte, die sein Lehramt beschädigte. Schwimmer ging nach Dresden an die Hochschule für Bildende Künste, wo er zum Leiter der Graphikabteilung avancierte. Bis zu seinem Tod behielt er aber Wohnung und Atelier in der Gottschedstraße.

Centraltheater
Centraltheater

Spielstätten für bedeutende Konzerte in Leipzig waren nicht nur das Gewandhaus und das Alte Theater sondern auch die Centralhalle und die sakralen Bauten in unserem Viertel: die katholische Trinitatiskirche in der Rudolphstraße und die Große Synagoge (Tempel) in der Centralstraße. Gelegentlich auch die Loge Apollo in der Centralstraße bzw. die Loge Minerva in der Weststraße. Später kamen auch die Ez-Chaim-Synagoge für jüdische Chormusik und natürlich das Centraltheater am Thomasring (1901 bis 1943 Varietè und Operette) hinzu. Seit 1945 kennen wir es als Schauspielhaus. Darüber hinaus müssen aber auch die Musikschule Ottmar Gerster, die Spielgemeinde der evangelischen Kirche im Theater K (1958 bis 2004) in der Otto-Schill-Straße 7 erwähnt werden. Hier befindet sich heute die Schille, das Theaterhaus des Evangelischen Schulzentrums.

1987 wurde in der Grünanlage an der alten Weststraße ein Plastikpark angelegt, in dem laufende Ausstellungen mit Skulpturen erfolgen sollten. Heute noch ist – von den meisten vergessen - unter wenigen Plastiken die Spirale von Bernd Sikora zu sehen. Im Jahr 2001 wurden zwei bedeutende kulturelle Projekte im Stadtviertel fertig gestellt: Die Hochschule für Musik und Theater Felix-Mendelssohn Bartholdy weihte das Haus am Dittrichring 21 nach erfolgreichem Umbau als Teil der Hochschule für die Studienrichtungen Dramaturgie und Schauspiel ein. In der Otto-Schill-Straße 4 wurde die Kunsthalle der Sparkasse Leipzig eröffnet, in der einmalig in Leipzig die gesammelte Leipziger Kunst der letzten 60 Jahre ausgestellt wird. Stellvertretend für aktuell im Kolonnadenviertel wirkende Künstler stehen die in der Agentur Punctum vereinigten Fotografen Peter Franke, Wolfgang Zeyen, Bertram Kober, Stefan Hoyer und Hans-Christian Schink sowie die jungen Grafiker Anna-Lena von Helldorff, Andrej Loll, Katja Schwalenberg und Simone Wassermann, die am Dorotheenplatz in der Kolonnadenstraße 1 ihr gemeinsames Atelier buero total haben. Unter den aktuellen Anbietern von Kunst im Viertel muss hier auch die Künstlerresidenz *blumen* in der Kolonnadenstraße 20 genannt werden.