Das Kolonnadenviertel verliert im 2. Weltkrieg seine Identität und erhält ein völlig neues Bild
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs bestanden in Leipzig die ersten dringenden Aufgaben darin, die Straßen zu beräumen und die Trümmer zu beseitigen. Auch in unserem Stadtviertel haben sich hierbei die legendären Trümmerfrauen verdient gemacht. Die katholische Kirche existierte als Ruine noch lange. Zunächst sollte sie wieder aufgebaut werden und 1950 wurde deshalb mit der Enttrümmerung begonnen. Im Oktober 1954 wurde die schriftliche Standortgenehmigung zum Wiederaufbau am alten Standort erteilt und Ende 1954 die Ruinenreste gesprengt. Aber bereits Anfang 1955 wird die Genehmigung widerrufen. 1957 schließlich wird durch die Stadt das auf dem Kirchengrundstück gelagerte Baumaterial beschlagnahmt und die Fläche eingeebnet und begrünt. 1966 wird mit dem Stadtarchitekten ein neuer Kirchenstandort der künftigen Propsteikirche am Westplatz (Käthe-Kollwitz-Straße /Friedrich-Ebert-Straße) vorgesehen, doch bereits 1967 wieder verworfen. Erst 1976 kommt es zu dem neuen Standort am Rosenthal, der aber nicht mehr im Kolonnadenviertel liegt.
Das Kolonnadenviertel, das bei den Bombenangriffen 1943/44 weitgehend zerstört wurde, musste zunächst einmal von den Trümmern befreit werden. Noch lange war nicht an einen Wiederaufbau zu denken. Die teilzerstörten Gebäude wurden gesichert und mit bescheidenen Mitteln für die Nutzung hergerichtet. Vielfach waren das auch die Hinterhäuser und Werkstätten, die in den Höfen noch existierten. Die ersten, die ernsthaft einen Neubau, Wiederaufbau oder Umbau ins Auge fassten, waren die katholische Propsteigemeinde und das Schauspielhaus. Der Neubau der katholischen Kirche wurde schließlich politisch von der Stadtverwaltung verhindert. So war der Umbau des Centraltheaters zum Schauspielhaus 1954/55 der erste größere Bau nach dem Krieg im Kolonnadenviertel. Um diese Zeit gab es in Leipzig noch kein umfassendes städtebauliches Konzept, das den neuen Nachkriegsanforderungen gerecht werden konnte. Die Bauunternehmen waren technisch-technologisch wenig flexibel und es herrschte bei den Offiziellen offenbar die Meinung vor, die Kriegsschäden möglichst schnell zu beseitigen und für die Zukunft möglichst viel Platz zu lassen für Straßen und Plätze.
Das Stadtbaukonzept von 1959 sah weitgehend den Abriss der zerstörten Häuser und keinen Wiederaufbau vor. Aber es bestand extremer Wohnungsmangel, so dass ab 1954 die ersten Wohnungsbaugenossenschaften gebildet wurden. Darunter im Jahr 1957 auch die Genossenschaften Städtische Theater, Deutsche Post, DHfK und Centex, die im Zeitraum 1958/60 die Häuser in der Elsterstraße 7 bis 13 sowie 6 bis 12 und in der Käthe-Kollwitz-Straße 27 bis 31 errichteten. Damit verschwanden dort die geschlossenen Fronten von Mehrfamilienhäusern mit kleinen Vorgärten zugunsten neuzeitlicher Wohnblöcke. 1960/62 wurde die Straßenführung im Bereich der Promenaden-/Käthe-Kollwitz-Straße und der Friedrich-Ebert-Straße verändert. Das Viertel bekam eine neue Struktur. Dabei wurde das Grundschema, das durch Apels Garten mit seiner Fächerform vorgegeben war, mit den Straßenzügen Otto-Schill-Straße, Kolonnadenstraße, Reichelstraße und Elsterstraße erhalten.
Hago Fischer erinnert sich:
"Heute kaum vorstellbar, doch wir mussten im Sommer 1958 die Streifenfundamente für die Häuser Elsterstraße 11/13 per Hand ausschachten. Die alten bruchsteingemauerten Fundamente der Ruinen auf dem Baugrund wurden mit Spitzhacke und Pressluftbohrer beseitigt. Die Bruchsteine wurden dann aus der Baugrube mittels zusammengenagelter Schaltafeln per Autodrehkran der Deutschen Spedition herausgehoben, auf LKW des Kraftverkehr Leipzig (beides Partnerbetriebe) verladen und zum Bayerischen Bahnhof gefahren. Von dort kamen sie zum Ausbau des Hafens nach Rostock. Ein zweifacher Nutzen: Wir bekamen Baufreiheit und der Hafen benötigtes Baumaterial. Stolz standen wir am Rande der Baugrube und sahen auf die in Handarbeit ausgehobenen Gräben, in die der Beton für die Fundamente gegossen werden sollte. Für die kommende Woche waren der Betonmischer, die notwendigen Geräte und das Material angekündigt…"
Die Umgestaltung der Inneren Westvorstadt – eine Herausforderung an das Innerstädtische Bauen
Die Innere Westvorstadt zwischen Friedrich-Ebert-Straße und dem Ring war nach Abschluss des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in der Elster- und Käthe-Kollwitz-Straße Anfang der 60er bis in die Zeit Anfang der 80er Jahre durch die großen Lücken geprägt, die der Zweiten Weltkrieg hinterlassen hatte. 1975 wurden dann erste Vorschläge unterbreitet, das Viertel umzugestalten, sprich Altes wegzureißen und Neues hinzubauen, was auch die Errichtung von 11- und 16-geschossigen Hochhäusern einschloss. Andere Vorschläge wollten die Altbausubstanz weitgehend erhalten. Das 1981 vorgelegte Bebauungskonzept musste aber 1982/83 überarbeitet werden, weil inzwischen der Bau von Vielgeschossern untersagt wurde. So wurde 1982 für den Ersten Abschnitt der Umgestaltung der Inneren Westvorstadt der Bereich der Kolonnadenstraße zwischen Dorotheenplatz und Max-Beckmann-Straße als Experimentalstandort mit Sanierung von Altbauten und Schließung der Lücken durch Plattenbauten geplant.
1983 wurde in der Baracke der Stadtreinigung in der Otto-Schill-Straße 3-5 das Modell der künftigen Bebauung der Kolonnadenstraße , des Dorotheenplatzes und der Reichelstraße ausgestellt, das großes Interesse fand und zu zahlreichen Aussprachen Anlass gab. Die Zustimmung überwog, man hoffte auf Realisierung. An Architekten und Bauleute wurden neue Herausforderungen gestellt, die sich einerseits durch die Verbindung von Altbausanierung und moderner Plattenbauweise, andererseits durch die engen Baustellenverhältnisse der nur elf Meter breiten Kolonnadenstraße ergaben. In vier gegenüber dem ursprünglichen Typenbau neu gestalteten Experimentalbauten waren 80 Wohnungen und neue Erdgeschosszonen zu planen sowie zu errichten, und in acht erhaltenswerten Altbauten wurden 52 Wohnungen und die zugehörigen Läden rekonstruiert.
Ab Januar 1984 werden die ersten Platten für die Experimentalbauten mit Bauteilen wie Erkern, ornamentierten Fassaden, Loggien und Treppenhäusern in Serie gefertigt und auch montiert. Alte bestehende Häuser werden modernisiert, die darin wohnenden Bürger werden, so sie nicht wegziehen wollen, in die Alexanderstraße (heute Max-Beckmann-Straße) umgesiedelt. Zwei Garagenhöfe werden abgerissen, andere freie Flächen vorgerichtet und neu bebaut. Auf Hinweise des damaligen Wohnbezirksausschusses werden wertvolle schmiedeeiserne Eingangsportale der alten Häuser sichergestellt, damit sie nach der Sanierung wieder eingebaut werden können. Das Interesse der Bürger an der Neubebauung ist groß, der Kontakt zu den Bauarbeitern ist eng, jeder kennt hier die "Brigade Böttcher". So erfährt man zum Beispiel etwas über die neu angelegten Kollektorgänge unter den Häusern der Kolonnadenstraße. Sie enthalten die gebündelten Leitungen für Gas, Wasser und Strom. Mehr und mehr bekommt die Straße ihr neues Gesicht und Ende 1985 werden Sanierung und Lückenschließung abgeschlossen.
Doch nun muss Leben in die Straße! Zahlreiche engagierte Bürger des Viertels machen ihren Einfluss geltend und erreichen eine gelungene Belebung. Es entstehen die Bierstube in der Nr. 11, eine Bäckerei, eine Eisdiele, ein Feinkostladen, eine Drogerie, ein Blumengeschäft, eine Fleischerei, eine Gaststätte und vieles mehr. Die "neue" Kolonnadenstraße, liebevoll Kolle genannt, wird für die Bewohner wegen der schönen fern geheizten Wohnungen und der vielen Läden für den täglichen Bedarf ein Vorzeigeobjekt, die Bürger fühlen sich wohl in ihrem Viertel. Für Architekten, Bauleute und Stadtplaner ist sie ein Anschauungsobjekt für gelungenen Experimentalbau des innerstädtischen Bauens. Übrigens führte diese herausragende Gestaltung und neue Rolle der Kolonnadenstraße später dazu, dass die Bewohner die Innere Westvorstadt als Kolonnadenviertel akzeptierten.
Abschluss der Bebauung der Inneren Westvorstadt in Plattenbauweise von 1985 bis 1990
Bereits 1984/85 wurde auf der Freifläche im Bereich der ehemaligen Weststraße/Rudolphstraße der Rückbau und die Anlage einer hochwertigen Grünfläche einschließlich künstlerischer Gestaltung geplant. Die Realisierung wurde schließlich 1987 abgeschlossen. Danach wurde das Wohnungsbauprogramm der Inneren Westvorstadt noch bis 1990 fortgesetzt. Dazu gehörten die Plattenbauten in der Kolonnadenstraße zwischen Max-Beckmann- und Friedrich-Ebert-Straße, die Schule in der Manetstraße, die Kindergärten zwischen Manet- und Reichelstraße, die Plattenbauten im Alten Amtshof/Manetstraße, Max-Beckmann-Straße und Reichelstraße, Friedrich-Ebert-Straße, Käthe-Kollwitz-Straße, Zentralstraße und Gottschedstraße. 1987 bis 1989 wurde schließlich die Bebauung des Dorotheenplatzes abgeschlossen. Im Februar 1989 eröffnete hier das Restaurant Apels Garten seinen Gaststättenbetrieb.
Bis 1990 dauerte noch die Lückenschließung am Nikischplatz, womit gerade noch rechtzeitig dieser Teil des DDR-Wohnungsbauprogramms abgeschlossen wurde, bevor sich die DDR verabschiedete. In die Zeit 1988/89 fällt auch die Fertigstellung des Datenverarbeitungszentrums an der Ecke Dittrichring/Gottschedstraße, wo seit der Nachkriegszeit am Standort der zerstörten Kommandantur eine Baulücke bestand, die Jahrzehnte lang als Parkplatz genutzt worden war.
Über eine "nette" Begebenheit berichtete die LVZ vom 31. August 1989 unter dem Titel "Kunstbanausen":
"Daß Rekonstruktion meist auch etwas mit Wegreißen zu tun hat, leuchtet jedem ein. Mitarbeiter des Kombinates für Baureparaturen und Rekonstruktion schossen dabei übers Ziel hinaus. Kurzerhand banden sie ihre Schuttrutsche am Nikischplatz an einer der wertvollen Plastiken – die später ihren Platz im Gohliser Schlößchen finden und durch Kopien ersetzt werden sollen – fest, wie uns ein Leser informierte. Der Sockel kam dadurch schon ein Stück ins Rutschen, Abrissziegel flogen dagegen. Welcher Kunstbanause diese Befestigung veranlaßt hat, läßt sich wohl nicht mehr exakt herausfinden. Aber es spricht nicht gerade für einen Betrieb, der sich tagtäglich damit beschäftigt, Altes zu erhalten.
PS: LVZ war am gestrigen Nachmittag mit Denkmalpflegern dort, und wir besahen uns den Schaden. Brigadier Kleemann vom KBR veranlaßte ohne Diskussion und umgehend, daß die zerstörerische Befestigung entfernt wurde. Danke."